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Motivation durch die Tochter

Improvisation bestimmte ihr Leben. Als ihre Tochter in die Schule kam, begann sie selber zu lernen.

Als ihre Tochter Lea am Ohr operiert werden musste, konnte Peggy Gaedecke nicht mal den Fragebogen im Krankenhaus selbst ausfüllen. Heute schreibt sie für ihre Tochter die Entschuldigung selbst, wenn sie mal krank wird und in der Schule fehlt. Zwei Jahre lang holte Peggy Gaedecke in einem Lese- und Schreibkurs für Erwachsene nach, was sie in ihrer eigenen Kindheit versäumt hatte.

Erst den Anschluss verpasst und dann abgestempelt

Als Kind verlor Peggy Gaedecke aufgrund einer Mittelohrentzündung bereits im zweiten Schuljahr den Anschluss in der Schule. Sie versteckte sich schüchtern in der letzten Reihe und schrieb die Wörter so ordentlich von der Tafel und aus Büchern ab, dass die Lehrer ihre Hilflosigkeit kaum erkannten. „Sie haben es hingenommen. Ich hatte ja so eine schöne Handschrift.“

Der erste Bruch kam im vierten Schuljahr: Ein Leistungstest deckte schonungslos ihre Schwächen auf. Peggy hat das Schuljahr wiederholt. Ab diesem Zeitpunkt wurde sie nach dem sogenannten „Sonderlehrplan für Schwerbehinderte“ unterrichtet. Damit fühlte sie sich als junges Mädchen bereits abgestempelt. Weil sie als behindert galt, zählte die Rechtschreibung nicht, und sie schaffte den Hauptschulabschluss.

Mit Improvisation durchs Leben

Eine erste Lehre zur Hotelfachfrau brach sie ab, weil sie mit der Berufsschule hoffnungslos überfordert war. Mit 19 kam ihre Tochter Lea zur Welt. Nach der Elternzeit begann Peggy Gaedecke eine zweite Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin, die sie mit 26 erfolgreich abschloss. Dass Peggy Gaedecke kaum lesen und schreiben konnte, wussten nur ihre Mutter und ihre beste Freundin. Wenn sie im Alltag mit Schrift in Berührung kam, musste sie improvisieren. Im Restaurant bestellte sie deshalb Gerichte, die auf jeder Karte stehen.

Die tägliche Angst, sich offenbaren zu müssen

Ein Gefühl, dass sie ihr Leben lang begleitete, ist das der Angst: die Angst, der Lehrer in der Schule könnte sie an die Tafel rufen, um einen Satz anzuschreiben. Oder die Sorge, ein Mitarbeiter auf dem Amt könnte sie auffordern, ein Formular auszufüllen. Von Besuchen beim Arzt oder Amt blieb die junge Frau öfter weg. „Ich hatte Angst, dass jemand fragt und etwas merkt.“ Die innere Unruhe verwandelte sich vor Terminen häufig in Panik. Auch mit ihrer Tochter Lea verließ Peggy Gaedecke niemals den heimischen Kiez – aus Angst, sie könne den Weg zurück nach Hause nicht finden.

Der Weg in ein selbstbestimmtes Leben

Den Entschluss zu lernen fasste sie erst, als Lea in die Schule kam. Denn auf Fragen ihrer Tochter konnte sie keine Antworten geben: „Da habe ich gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann.“ Ihr Freund Enrico unterstützte sie. Auch er wusste lange nicht, warum sie lieber telefoniert als eine SMS zu schreiben. Doch als sie sich ihm offenbarte, half er sofort: „Wir kriegen das hin, hat er gesagt.“

An fünf Tagen in der Woche lernte sie in einer Kleingruppe beim Grundbildungsträger „Lesen und Schreiben e. V.“ in Berlin-Neukölln nachträglich Lesen und Schreiben. Dabei fühlte sich der erste Tag im Kurs für sie an wie eine Befreiung: „Bis dahin dachte ich immer, dass ich mit meinem Problem allein auf der Welt bin.“

Den vielen anderen Betroffenen rät sie, sich unbedingt einem Freund oder Verwandten anzuvertrauen und Hilfe zu suchen: „Ich bin selbstbewusster geworden und traue mir viel mehr zu seit ich lesen und schreiben kann.“

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